Vom „Glarner Tüechli“ zum Haute Couture-Foulard: Ein Gespräch mit Sarah Maret

Ein unscheinbares Stück Stoff, das man in fast jedem Schweizer Haushalt findet: Das traditionelle „Glarner Tüechli“. Für viele ist es ein praktisches Accessoire, das man aus der Kindheit kennt. Für die Gründerin von leFoulard wurde es jedoch zur Quelle einer kreativen Leidenschaft, die sie bis heute antreibt. Sie erkannte das Potenzial dieses gemusterten Baumwolltuchs und verwandelte es in ein edles Seidentuch, das traditionelle Handwerkskunst mit moderner Kunst vereint. Wir sprechen mit ihr über die Entstehung ihres Labels, die besondere Fertigung der Tücher, ihre Liebe zu Farben und ihre Vision, Fast Fashion etwas entgegenzusetzen.

Sarah Maret, Gründerin von leFoulard
Wie kam es zur Gründung von leFoulard? Gab es einen besonderen Moment oder eine persönliche Geschichte, die dich dazu inspiriert hat, das traditionelle Glarner Tüechli neu zu interpretieren?
„Es war ein sehr persönlicher Moment, der alles ins Rollen gebracht hat. Ich erinnere mich noch genau: Bei meiner Schwiegermutter, die aus dem Glarnerland kommt, sah ich ein Tuch, das mich sofort gefesselt hat. Grün, Rot, Weiß – so viel bunter als die Tücher, die wir als Kinder zu Hause hatten. Ich dachte sofort: ‚Dieses Muster ist viel zu schön, um es nur auf Baumwolle zu sehen. Es muss auf Seide und groß werden!‘
Ich wollte dem Tuch seine Wertschätzung zurückgeben. Ich fuhr immer wieder in die Region und entdeckte, dass das Glarnerland eines der bedeutendsten Zentren für Textildruck in Europa war – eine Geschichte, von der ich als Kind kaum etwas wusste. Besonders berührt hat mich, dass mir der Nachbar meiner Schwiegermutter, der sich mit der textilen Vergangenheit des bergigen Kantons auskannte, alte Holzschablonen der letzten Seidendruckerei der Schweiz zeigte. Damit begann ich meine kleine Produktion: 30 Tücher, die ersten meiner heutigen Kollektion leGlaronais. Und es war unglaublich, wie schnell das Interesse wuchs. Viele Menschen hatten ihre eigenen Erinnerungen an die Tücher, und dadurch entwickelte sich leFoulard fast von selbst.“

Was war dir bei der Neuinterpretation besonders wichtig? Warum Seide, warum das große Format – und wie hast du dich dem historischen Muster angenähert?
„Als Kind habe ich das Tuch vor allem als praktischen Schutz vor der Sonne wahrgenommen, ohne ihm eine besondere Bedeutung zu geben. Erst mit Abstand habe ich gesehen, wie besonders dieses Muster eigentlich ist. Auf Seide entfaltet es eine Eleganz, die auf Baumwolle kaum sichtbar wird. Ich wollte die Farben intensiver, moderner und lebendiger machen und gleichzeitig die Handrollierung der Säume wieder aufleben lassen, die in der Schweiz fast verloren gegangen ist.
In Appenzell arbeiten Näherinnen, die diese Ränder noch von Hand rollieren– ein aufwändiges Handwerk, das in der Schweiz nur wenige weiterführen. Das ist ein winziges Detail, das aber alles verändert: Man spürt die Qualität und Eleganz, selbst wenn man das Tuch nur sanft über die Hand gleiten lässt. Es sind diese kleinen Handgriffe, die ein leFoulard ausmachen und die man sofort erkennt, wenn man genau hinsieht.“
Was gilt es bei der Arbeit mit Seide besonders zu beachten und woran erkennt man hochwertige Seide?
„Wir beziehen unsere Seide von der Società Serica Trudel in Italien. Das traditionsreiche Unternehmen hat seine Wurzeln im Zürcher Seidenhandel und gestaltet die gesamte Lieferkette fair und nachhaltig. Ich achte darauf, GOTS-zertifizierte Seide zu verwenden, deren Herstellung transparent nachvollziehbar ist.
Ich habe sogar schon über vegane Seide nachgedacht – meine Tochter ist Vegetarierin, und Nachhaltigkeit spielt für mich eine große Rolle. Fair produzierte Seide, bei der die Raupen nicht leiden müssen, ist mir wichtig. Deshalb zeige ich auf unserer Website genau, wer unsere Partner:innen und Manufakturen sind. Ich möchte, dass jede:r versteht, welche Geschichte in einem leFoulard steckt.“
Wie läuft bei dir der kreative Prozess ab – von der Idee bis zum fertigen Produkt? Wie entsteht ein neues Muster oder eine neue Farbvariante?
„Der kreative Prozess ist bei mir sehr intuitiv. Oft sehe ich etwas – einen Teppich, ein Muster, einen Stoff und sofort weiß ich: ‚Das muss ein Tuch werden.‘
Ein Beispiel: Für unser Bauhaus-Tuch besuchte ich eine Ausstellung in Weimar. Ich war von einem Teppichentwurf von Gunta Stölzl so fasziniert, dass ich die Tochter der Künstlerin im Norden der Niederlande kontaktierte. Sie zeigte mir das Werk ihrer Mutter, und ich hätte noch viele weitere Muster wählen können. Die Farben wählte ich intuitiv – es war sofort klar, welche Töne harmonieren.
Bei Kooperationen gebe ich den Künstler:innen oft eine Carte blanche. Dafi Kühne, ein Typografiekünstler, zeigte mir seine ersten Entwürfe und ich wusste sofort, welches daraus mit der richtigen Farbauswahl ein großartiges Tuch wird. Er war so begeistert vom Seidendruck, dass er selbst anfing, mit seinen Druckmaschinen auf Seide zu drucken. Manchmal entstehen die schönsten Designs aus solchen Momenten purer Begeisterung.“


Du kommst ursprünglich aus der Dokumentarfilmbranche. Wie hat das deinen Blick auf leFoulard geprägt?
„Ich habe Film, Soziologie und Publizistik studiert und dachte immer, Dokumentarfilm sei meine einzige Leidenschaft. Doch die Arbeit an leFoulard ist ähnlich: Man recherchiert, taucht tief ein, erzählt Geschichten.
Die Herstellung des Tuchs ist die Krönung dieses Prozesses. Ich liebe es, dass man beim Designen und Produzieren wie in einem Dokumentarfilm sich tiefgreifend mit einem Thema auseinandersetzt – mit Geduld, Respekt und dem Blick für Details.“
Gibt es Materialien oder Verarbeitungstechniken, die du zukünftig gerne einsetzen würdest, aber aktuell (noch) nicht realisierbar sind?
„Die letzte Seidendruckerei der Schweiz schloss 2023, und ich musste neue Partner finden. In Italien entdeckte ich Siebdruckereien, die mir ganz neue Möglichkeiten eröffneten, etwa Farben mit Pailletten zu kombinieren.
Auch Strick war ein neues Abenteuer. Bei unserer Kaschmir-Kollektion habe ich gemerkt, wie viele Faktoren man beachten muss: Länge, Festigkeit, Maschen – über 30 Versuche brauchte es, bis die Kaschmirwolle im Kreuzschlauch so gestrickt war, dass das Muster auf beiden Seiten sichtbar ist. Aber für mich bleibt Siebdruck das faszinierendste Handwerk.“
Für wen machst du deine Foulards – hast du ein bestimmtes Bild deiner Kund:innen im Kopf?
„Eigentlich bin ich offen. Von Anfang an war mir wichtig, dass ein Tuch für Menschen mit mittlerem Budget erschwinglich bleibt. Es soll langlebig sein, ein bewusstes Produkt, das lange Freude macht. Ich möchte Fast Fashion bewusst entgegentreten. Mein Ziel ist es nicht, ins Luxussegment zu gehen – es geht mir um Qualität und Wertigkeit, nicht um Status.“
Mode ist oft sehr schnelllebig – wie positionierst du dich mit einem so zeitlosen Produkt innerhalb der heutigen Modeindustrie?
„Ich mache Slow Fashion. Jede Kollektion entsteht bewusst und nachhaltig, in ausgewählten Manufakturen in Europa, unter hohen Standards. Lieber verzichte ich auf eine Kollektion, als schnell und unüberlegt zu produzieren. Es geht mir nicht um schnelle Trends, sondern darum, zeitlos schöne Designs zu entwerfen.
Auch in der Kommunikation setze ich auf Kunstfotograf:innen, um die Tücher als Kunstwerke zu inszenieren – nicht nur als Modeaccessoires.“
Welche Vision hast du für leFoulard in den nächsten Jahren? Gibt es Pläne für neue Formate, Kollaborationen oder Produktlinien?
„Wir wollen weiter nachhaltig wachsen. Aus den Seidenresten entstehen Scrunchies, Haarreifen oder Shorts. Alles, was sonst Abfall wäre, wird so weiterverwertet. Außerdem plane ich neue Kooperationen mit Künstler:innen. Dabei schreibe oder rufe ich die Künstler:innen immer direkt an und sage: ‚Ich finde deine Arbeit faszinierend und könnte sie mir auf unseren Tüchern vorstellen.‘ Dann hoffe ich, dass es klappt. Bisher hat es immer sehr gut funktioniert, und die Zusammenarbeit bereitet beiden Seiten große Freude.“
Sarah kannst du an der BLICKFANG in Zürich kennenlernen, noch mehr über seine Geschichte und seine Produkte erfahren und diese natürlich direkt ausprobieren und kaufen. Hier geht es zu den den Tickets!
